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Schwäbische Zeitung, 15 Oktober 2002, "In Polen lernen die
Leute, mit Naturschutz Geld zu machen", autor: Isabel Fannrich
Warschau - Im Nordosten Polens ist der größte Nationalpark
des Landes entstanden - zugleich eines der bedeutendsten Feuchtgebiete
der Welt
Mitten im Wald, 200 Kilometer nordöstlich von Warschau, lebt ein Eremit.
Krzysztof Kawenczyñski hat von zehn Jahren der polnischen Hauptstatd den
flücken gekannt, weil er seine Ruhe haben wollte. Er brachte ein altes
Holzhaus mit und stellte es in die Einsamkeit des Waldes. Doch er täuschte
sich. Immer mehr Menschen kommen nun, um ihn zu sehen und seine Antiquitäten,
die alten Bücher, das Plumpsklo, die Katzen, Pferde und Wiesen.
Die Einsiedler-Budy, die der 49-Jährige bewohnt, legt mitten in den Biebrza-Sümpfen
im Nordosten Polens. Eine abgelegene Region, die sich aber zunehmend dem
Tourismus öffnet. Der "Biebrzañski Park Narodowy" ist der jüngster
und mit 60 000 Hektar größte von 22 polnischen Nationalparks. Sein Markenzeichen
ist der Fluss. Die Biebrza schlängelt sich in unzähligen Windungen erst
Richtung Norden, dann geh Osten und Weißrussland. Im Frühjahr tritt sie
über die Ufer und überschwemmt die Wiesen und Täler - in der Mitte des
lang gezogenen Parks wird sie zu einen 20 Kilometer breiten See.
Der Biebrza-Nationalpark steht auch auf der "Ramsar-Konventionsliste"
zum Schutz der wichtigsten Feuchtgebliete der Welt. In den Nasswiesen
und Schilfdicksten, Moor- und Bruchwäldern leben rund 270 Vogelarten.
Doppelschnepfe und Schwarzstorch nisten hier, aber auch mehr als 2000
Paare des von Aussterben bedrohten Seggenrohrsängers. Zwei Dutzen Wölfe,
rund 500 Elche, außerdem Bibber und Ottern haben eine Nische gefunden.
Erst 1993, als das Gebiet unter Wissenschaftern längst international
bekannt war, wurden die Sümpfe in den Rang eines Nationalparks erhaben.
Das war eine politische Entscheidung, heißt es von Seiten der Umweltstiftung
WWF, die 1991 eingeschaltet wurde, um das Projekt vorerzutreiben. "Es
war ein guter Zeitpunkt", sagt WWF-Projektleiter Przemek Nawrocki
rückblickend. "Polen war sehr interessiert an seinem Ruf in der westlich-demokratischen
Welt." Für den künftigen EU-Beitritt siê die Einrichtung des Nationalparks
wichtig gewesen.
2000 Menschen leben in dem Parkgebiet, 150 000 in den angrenzenden Gemeinden
- das ist die niedrigste Bevölkerungsdichte im Verwaltungsbezirk Podlaskie.
Der WWF setzt auf die Förderung extensiver Landwirtschaft. Bestes Beispiel
sind die "glücklichen Kühe" von Brzostowo. Rund 200 Tiere schwimmen
und waten morgens durch die Biebrza, umlauf der anderen Selte zu weiden.
Abends kommen sie zurück - mal früher, mal später. Der Nebeneffekt: Die
Wiesen wachsen nicht zu, bieten Platz für bestimmte Vogel- und Pflanzenarten.
Der WWF hofft für diese traditionelle Form der Beweichung auf EU-Gelder.
"Wir wollten die Menschen ermutigen, mit Naturschutz Geld zu verdienen",
sagt Przemek Nawrocki. In Kursen konnten sich die Einwohner zu Parkführern
qualifizieren. Mittlerweile seien etwa 150 Familien in Tourismusbereich
aktiv. Sie fertigen holzgeschnitzte Souvenirs, vermieten Kanus oder betreiben
ein Gästerhaus. Von den 85 Bed-and-Breakfast-Häusern gehört eines Krzysztof
Kawenczyñski.
Rund 50 000 Besucher sind 2001 gekommen, um die Tier- und Pflanzewelt
auf Wanderwegen, per Kanu oder Fahrrad kennen zu lernen. Die meisten von
ihnen sind Angler. Doch wieviel Tourismus verträgt der Park? Es gebe bereits
Überlegungen, Teile der Wander- und Radwege nach außen zu verlegen, sakt
Adam Sieñko, Leiter des Nationalparks. "Massentourismust wird es
hier nicht geben."
Als weit bedrohlichen für Tiere und Pflanzen könnte sich die so genannte
Via Baltica herausstellen, eine Autobahn, die von Rostock über Danzig
in die baltischen Staaten führen soll. Sollte sie, wie es die Politiker
planen, einen Schlenker über das abgelegerie Bia³ystok macen, würde sie
nicht nur den Biebrza Nationalpark durchschneiden, sondern auch vier weitere
Naturschutzgebiete.
Noch ist der Blick vom Aussichtsturm unverstellt. In der Dämmerung hastet
eine Gruppe Niederländer mit Moskitonetz vom Gesicht durch den Park, um
sie wenigstens einmal zu sehen: die Doppelschnepfe. Katarzyna Ramotowska,
die mit ihrer kleinen Firma "Biebrza Eco-Travel" Führungen anbietet,
kennt diese Art Ornithologen: "Sie kommen selbst aus Kanada, fliegen
aus Warschau per Hubschrauber ein und nehmen sich 15 Minuten." Vor
ihnen wenigstens hat Krzysztof Kawenczyñski seine Ruhe.
Isabel Farrich
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